Eine Küchenbummlerin im politischen Haifischbecken

Auf ihrer Farm
Sarah Wiener war der Natur immer schon verbunden

Es ist mittlerweile schon über ein Jahr her, da hat man mir vorgeschlagen, ein Porträt von Sarah Wiener zu verfassen. Damals standen die EU-Wahlen vor der Tür und die ehemalige Star-TV-Köchin und Kämpferin für gesunde und regionale Küche und Esskultur entschied, das System von Innen heraus zu verändern und stieg für die Grünen in den Polit-Ring. Zu einer Veröffentlichung des Artikels kam es leider nie, ihn zu schreiben hat mir aber irrsinnigen Spaß bereitet. Hier also das Ergebnis. Und vorab das Update – im Mai 2019 wurde sie als Parteilose für die Grünen ins EU-Parlament als Abgeordnete gewählt.

Sarah Wiener

Sie ist eine Quereinsteigerin wie sie im Buche steht. Denn die beliebte Fernsehköchin, die sich mit Taekwondo durchs Leben und aus ihrem Status als Sozialhilfeempfängerin geboxt hat, steht seit März mit beiden Beinen im politischen Haifischbecken. Spätestens jetzt wird klar, dass die Rede von Sarah Wiener ist, deren Lebenslauf eine politische Karriere gar nicht benötigt, um sich wie ein Thriller zu lesen.

Als Tochter der bildenden Künstlerin Lore Heuermann und des Jazzmusikers Oswald „Ossi“ Wiener, der jedem aus der Szene ein Begriff sein dürfte, verwundert es kaum, dass sie eine Querdenkerin ist. Ihrer rebellischen Jugend verlieh die damals 17-Jährige jedenfalls mit einem Schulabbruch Nachdruck und „entfloh“ ihrer Mutter aus Wien in Richtung Berlin zu ihrem Vater, wo sie im „Exil“ – Ossi hatte das Lokal nach der Trennung von Lore Heuermann treffender Weise so benannt – ihre ersten Berührungen mit der Gastronomie machte. Mit dürftigen Kellner-Jobs und Taschengeld vom Staat hielt sie sich und mittlerweile auch ihren Sohn finanziell über Wasser. Zwischendurch wurde sie zweifache Taekwondo-Stadtmeisterin.

Da war sie also im Exil, die junge Rebellin – und das in jedem Sinne des Wortes. Mit ihrem Hineinschnuppern in die Küche der einfachen Speisegaststätte begann sich ihr Talent zu entfalten. Was als Backexperiment der Sarah Wiener anfing, entwickelte sich ab 1990 zu einer Cateringküche für Familienfeste und Events, die sie als Selbstständige betrieb und die sie in großen Schritten aus ihrer persönlichen Finanzkrise führte. Ein ausrangierter Militär-Küchenwagen half ihr dabei: Bald landete sie auf Filmsets, wo sie hungrige Crew-Mägen füllte. Heute nennt sich das „Sarah Wieners Tracking Catering“ übrigens „Hoflieferanten Berlin“ und ist gerade im Begriff, sich über den Namen der Sarah Wiener hinauszuwachsen. 1999 öffnete ihr erstes Restaurant, „Das Speisezimmer“, 2001 folgte „Mutter und Schraube“ im Deutschen Technikmuseum und 2003 das „Restaurant im Hamburger Bahnhof“ in Berlin. Von da an eroberte sie die weite Welt.

Sarah Wiener mit GästenSarah Wiener mit Gästen © Stephanie Lehmann

Heute kennt die Öffentlichkeit Sarah Wiener als die Fernsehköchin mit den charmanten Grübchen, die sie mit einem breiten Lächeln in fast 100 Sendungen dem breiten Publikum präsentierte. Den Anfang nahm sie mit der Doku-Soap „Abenteuer 1900 – Leben im Gutshaus“. Mit den „kulinarischen Abenteuern der Sarah Wiener“ kochte sie sich ab 2007 durch Frankreich und Italien, zwei Jahre darauf durch die Alpen, später auch durch Großbritannien, Marrakesch und Asien.

Früh in ihrer Fernsehkarriere verschrieb sie sich auch dem Wohl der Kinder. Bereits 2009 predigte sie in der zehnteiligen arte-Serie „Sarah und die Küchenkinder“ Kindern eine naturnahe Ernährung. Diese Botschaft spiegelte sich auch in der „Sarah Wiener Stiftung“, die im gleichen Jahr ins Leben gerufen wurde, wider. Ihr Einsatz blieb aber nicht ohne das eine oder andere Skandälchen. Zur veganen Ernährung von Kindern sagte Sarah Wiener 2015 in einem Interview mit Focus Online: „Es kann nicht sein, dass wir Nahrung propagieren, mit der uns nur zusätzliche Chemie vor Mangelernährung schützt.“ Das sei „absurd und nicht sinnvoll“. Was die vegane Community von dieser Einstellung hielt, kann man sich gut vorstellen. Indes setzte sie ihre kulinarischen Reisen am Bildschirm fort, wo sie unter anderem ans Lachsfischen an der Nordsee und unter Olympia-Ringer im Saarland wagte.

Dass die Medien ihr nicht immer schmeicheln würden, sollte sich Ende 2014 mit dem Hochkochen der Daimler-Causa zeigen. Erst wenige Monate zuvor hatte der Autoriese seine Firmenphilosophie in Sachen Werkvertragsunternehmer und Lieferanten verändert. Dagegen verstieß Sarah Wiener, deren Gruppe damals die Gastronomie des Mercedes-Benz-Museums in Stuttgart führte. Mitarbeiter arbeiteten mitunter über zehn Stunden täglich. Sie flog hochkant aus dem Vertrag, verteidigte sich später jedoch: Die Gastronomie sei nicht von ihr, sondern von der SW Museumsgastronomie und der Sarah Wiener GmbH gemanagt worden, Arbeitszeitverstöße seien unverzüglich korrigiert worden… erst nach und nach klang die aufgebauschte Empörung ab. In der Gastronomie mehr als zehn Stunden arbeiten? Das hat die Welt noch nicht gesehen (Ironie aus).

Spätestens jetzt kann man sich gut vorstellen, dass sich der Werdegang der Sarah Wiener nicht gut in nur eine Zeitleiste fassen lässt. Mit ihrem Engagement für artgerechte Tierzucht fing sie etwa schon 2006 an, „Haushalt ohne Genfood“ kam im darauffolgenden Jahr. 2012 sollte sie auf der Berliner Demo „Wir haben es satt!“ sprechen, auch in Frankreich fasste sie als Aktivistin Fuß. Mit Renate Künast von den deutschen Grünen hat sie sich 2013 zusammengetan, um die Initiative „Rettet unsere Böden“ buchstäblich aus dem Boden zu stampfen. Der Wechsel in die Politik, der im März dieses Jahres alle Aufmerksamkeit auf sie zog, sieht aus dieser Perspektive betrachtet wie ein logischer nächster Schritt aus.

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Sarah Wiener in der Politik: Ihre Wahl zur EU-Parlamentskandidatin und mit jetzigem Vizekanzler Werner Kogler © Grüne/Buko, Kökkök

Doch auch die Agenden der österreichischen Grünen, deren zweite Spitzenkandidatin für die Wahlen zum EU-Parlament sie seit dem 16. März ist, verraten, dass sie ihre Wurzeln nicht vergessen hat. Gesunde Tiere, gesunde Böden und eine nachhaltige Landwirtschaft, das fordert sie aber nicht erst seit ihrer Kandidatur für Brüssel. Auf ihrem Hof im Nordosten Brandenburgs lebt sie seit 2014 vor, was möglich ist. Mit zwei Geschäftspartnern übernahm sie damals das „Gut Kerkow“ in Uckermark nach dem tragischen Tod des Vorbesitzers. 700 Hektar werden dort von 20 Mitarbeitern bewirtschaftet. Überflüssig zu erwähnen, dass es sich um einen Bio-Hof handelt, der seither ihre Lokale beliefert.

Wenn sie heute also keck vom Wahlkampf-Werbesujet herausfragt „Wer braucht schon gesundes Essen? Du?“ dann nimmt man ihr ab, dass sie es mit ihrer politischen Agenda ernst meint. Sonst könnte ihr Ziel, eine Kennzeichnungspflicht bei Nahrungsmitteln europaweit durchzusetzen oder gesundes Essen zum Menschenrecht zu erklären, nicht so schnell erreicht werden. Ihre Bekanntheit setzt sie zu diesem Zweck ein, mit all ihren Ecken und Kanten. Sich an genau diesen festzuhaken, haben sich die Medien gleichzeitig zur Lebensaufgabe gemacht. Erst kürzlich waren es die 317.000 Euro, die das Gut Kerkow im Vorjahr an EU-Subventionen erhalten hat – einem Hof, an dem auch weiterhin biologisch „alles picobello“ abläuft, wie es der Grüne Listen-Kollege Werner Kogler ausgedrückt hatte. „Wie kann sich eine EU-Kandidatin von eben dieser subventionieren lassen?“ polterte die Presse hingegen.

Doch wer Sarah Wiener kennt, weiß, dass sie auch jetzt nicht davor zurückschrecken wird, von ihrem scharfen Mundwerk Gebrauch zu machen. So hält sie auch trotz des Shitstorms im Jänner 2019 an ihrer Einstellung zur veganen Ernährung fest und legt mit einer Kritik an industriell hergestellter Mandelmilch nach. Mandeln seien nur zu zwei Prozent darin enthalten, argumentierte sie in einem Facebook-Post. Und überhaupt würden Mandeln in Kalifornien in Monokulturen herangezüchtet. Auf beleidigende Kommentare konterte sie: „Wenn ihr Menschen überzeugen wollt, dann mit Liebe und Geduld und Verständnis. Nicht mit Rufmord.“

Man könnte ihr auch zutrauen, in der Politik ihren Weg zu machen. Eine Individualistin scheint sie jedenfalls bleiben zu wollen. Denn bei den Grünen will sie nicht Mitglied werden. Ob sie sich damit ein Hintertürchen offen hält für den Fall, dass die Grünen nach dem 26. Mai nicht den zweiten Sitz im Europaparlament schaffen? Prognosen halten es immerhin für unrealistisch. Dass sie verarmen würde, ist dennoch unwahrscheinlich: Zur „Sarah Wiener Gruppe“ zählen heute sechs Gastronomieunternehmen, eine Vertriebsgemeinschaft und eine Stiftung. Neben fast 100 produzierten Kochsendungen hat die Schulabbrecherin und ehemalige Sozialhilfeempfängerin bislang auch 17 Bücher herausgebracht.

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